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Krayt

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BeitragThema: Re: Manuskript - Alte Version   Manuskript - Alte Version Empty18.11.13 17:21

... in Arbeit ...

Kapitel 2


Teil I

Eine Woge aus Schmerz war die Begrüßung meines Erwachens. Ich wollte mich zurückfallen lassen in den noch immer um mich wabernden Nebel von Traum, Geborgenheit wie meine warme Decke mir versprach. Eine Welt, so grausam sie auch sein konnte, doch besser als jede Realität, womöglich aufgrund des Wissens, dass es keine war.
Bilder flackerten mir vor Augen. Ich sah David in der Manege, Lisa mit dem Messer in der Hand, Irina am Abgrund und einen grinsenden Alten mit Spitzohren. Blutige Wände, eine zerspringende Sanduhr … wie viel war echt gewesen?
Von weiter Ferne vernahm ich Flammengeflüster und das unverkennbare Gewisper sterbenden Holzes.
Benommen drehte ich mich zur Seite, öffnete die schwerfälligen Lider. Flammen tanzten, loderten in ihrem eigenen Reigen, brachten Licht in meine finstere Umgebung, leuchteten, von einem hellgelb glühenden Eisens bis zu einem tief Orange-rot blutiger Sonnenaufgänge. Ich erblickte ein junges Mädchen langen blonden Haares dahinter sitzend, ihren Schatten um ein Vielfaches gegen eine kaum hellere Felswand geworfen. Verzerrte Bilder im Rausch der Zeit.
Unsere Augen trafen sich, doch kein Laut kam über ihre Lippen. Die Beine angezogen, der Arme umschlungen, das Kinn zwischen den Knien versunken, den Blick wieder unverwandt auf das Feuer gerichtet, spiegelte sich das züngelnde Licht in ihren Pupillen.
Meine Augen verfolgten den aufsteigenden Rauch, wie er sich anmutig tanzend in die Höhe erhob und weit über unseren Köpfen durch eine kleine helle Öffnung verschwand. Ein schmaler dünner Lichtstrahl zwang sich hindurch, verlor sich jedoch in der Tiefe.
Ich riss meinen Blick los, hievte mich unter Schmerzen auf die Knie und kroch näher an die Flammen heran.
»Wo sind wir hier? Und wo sind Amalia und Mitica?«
Lisa sah auf. Dunkle Schatten unterstrichen ihre Augen. »In irgendeiner Höhle. Mitica liegt da vorne, deine Tante - « sie wies auf eine tiefschwarze Ecke am anderen Ende des Raumes » - ist da lang, will sich umgucken.« Ihre Stimme zitterte.
Ich stand auf, spürte jeden verdammten Knochen - ›Danke, Steinboden.‹ - holte meine noch warme Decke und warf sie ohne zu fragen Lisa über.
»Du erfrierst mir sonst noch. Warum hast du dich nicht in deine gewickelt? Ist verdammt kalt hier.«
»Ich mochte die Kälte. Sie erinnert einen, dass Einsamkeit auch sein Gutes hat.«, meinte sie, zog die Decke zeitgleich enger um sich.
Bitte, was?!
Ich riss mich zusammen, meinen Kopf nicht zu schütteln.
»Hat sich unser netter Gastgeber schon gezeigt?«
»Nicht, dass ich wüsste.« Sie starrte in die Flammen. Gedankenversunken. Worüber sie wohl nachdachte?
Die Worte lagen mir bereits auf der Zunge, doch ich sprach sie nicht aus. Es gab Wichtigeres, vermutlich war es auch besser für sie.
Mit wenigen Schritten stand ich neben Mitica, der sich tief in seine Decke vergraben hatte, doch er schlief, zu meiner Beruhigung. Wer wusste schon, was der Alte mit uns vorhatte? Wieso tat Amalia uns das an? Wie viel davon ging auf ihre Kappe?
Ich schnappte mir einen halb brennenden Ast, leuchtete im Schnelldurchgang die Umgebung aus. Aber wie Lisa schon sagte, eine Höhle, ein abgehender Gang. Einzige Auffälligkeit, ein in die Felswand gehauener Torbogen ohne Durchgang, lediglich, von mit geritzten Strichzeichnungen übersäter Zierrat. Und vier Rucksäcke unweit der Feuerstelle. Woher kam das Holz? Wieso gab es hier keinen Nachschub? ....
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Krayt

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BeitragThema: Re: Manuskript - Alte Version   Manuskript - Alte Version Empty05.11.13 22:06

Teil VI

Es war warm in der Burg, aber ich mochte sie nicht. Zu wenig Fenster, zu wenig beleuchtete Gänge, der dunkelrote Stein machte mich paranoid und unser Gastgeber betrachtete mich zu oft mich solch durchdringenden Blicken, dass ich mir vorkam als würde ich ihm meine Gedanken entgegenschreien, da konnte auch die woher auch immer so schnell hergezauberte warme Suppe nicht hinwegtäuschen. Und es hing eine Spannung in der Luft... Eine Sprengladung, dessen zündender Funke schon unterwegs war. Lisa und Mitica schienen es auch zu spüren. Ich hatte sie noch nie so schnell zum Verbrennen heiße Suppe löffeln sehen.
Mein Blick schweifte im Zimmer umher. Kunstvoll geschnitztes Mobilar aus einem dunkel rotbraunen Holz, ein gemauerter offener Kamin und altertümliche Waffen auf blank poliert, ausgestellt an den Wänden, ließen mir einen Schauer über den Rücken gleiten. Dazwischen Schilde, schmiedeeiserne Kerzenleuchter, ein verblichener Perser auf dem Boden und über allem schwebte ein weit ausladender Leuchter in Form eines Rades.
Amalia und der bisher nicht vorgestellte Herr tauschten Blicke, zu viele. Ich war mir nicht sicher, aber es schien eine Feindseligkeit in ihnen zu liegen, deren Abgründe viel tiefer gehen mochten, als sie durchscheinen ließen.
Sie vertraute ihm doch nicht. Warum kamen wir dann überhaupt hierher?
»Haben Sie einen Fernseher?«
Fast hätte ich mich verschluckt. ›Mutig, Mitica.‹
»Wenn der junge Herr Lust hat, kann er sich gerne im Nebenzimmer vergnügen, wo er auch einen Fernseher vorfinden wird.«, antwortete der Alte, deutlich ungehalten.
Mein Blick huschte zu Amalia. Sie erwiderte ihn, begegnete mir doch mit einer Miene von Stein. Verbarg sie ihre Müdigkeit? War ihr alles egal?
Zaghaft versuchte ich hinter ihren Schild zu linsen, als Mitica aufstand. Amalias Augen blitzten  mich kurz verärgert an. Einen Versuch war es wert gewesen. Aus den Augenwinkeln erntete ich den Anflug eines spöttischen Grinsens des Hausherrn. Hatte er es bemerkt?
Mitica schob den Stuhl ran. Ich konnte ihn um seinen Mut nur beneiden, wie er seine Schale Suppe ergriff - ›Die willst du jetzt nicht wirklich mitnehmen!?‹
Mein Blick schoss zu unserem Gastgeber, aber der schien es zu dulden.
Mitica war nicht mal an der Tür, ein genuscheltes ›Danke.‹ verloren, als Lisa aufstand und ihm folgte. ›Ok.‹ Aufstehen.
»Vielen Dank für die Suppe noch mal.«, murmelte ich, fing aus Amalias Augen die Sehnsucht mit uns zu kommen, schloss die Tür hinter mir und huschte über den Flur in den Nebenraum. Der Fernseher lief bereits, Mitica stellte gerade seine leere Schale zur Seite.
»Der ist ja autoritärer als unser geschätzter Direktor.« Er grinste mich schräg an und lümmelte sich in die Tiefen einer beigen Couch. »Weißt du, wie lange Amalia hier bleiben will?«
Ich zuckte leicht mit den Schultern. »Ich weiß nicht, was in Amalias Kopf vorgeht. Aber wenn es dich beruhigt, ich mag den Kerl auch nicht.«
»Nichts gegen warme dicke Burgmauern.«, gähnte er. »Solang er keine abartigen Gegenleistungen verlangt.«
»Hoffentlich.« Ich schob mir die letzten Löffel Brühe rein, sammelte Lisas Schale ein und stellte sie zu Miticas auf einen kleinen runden Tisch, dessen Beine Schlangen nachempfunden waren. Meine Augen bewunderten kurz die Filigranarbeit der geschnitzten Haut. Sie schien fast ein wenig zu atmen, als würden diese Schlangen Tatsache leben, ihre Starre nur vorgeben.
Als ich mich zurück zum Sofa drehte grinsten mir zwei unbewegliche Fratzen entgegen.
›Woouuw, was-?‹ Ich tat einen Schritt rückwärts, stieß gegen den Tisch, Geschirr klirrte. Kurz durchatmen.
Alles normal. Die beiden waren einfach nur eingenickt. Ich betrachtete ihre Gesichtszüge. Müde, entspannt. Sie hatten mich doch gerade angegrinst?!
Leicht beklommen schlenderte ich zur Couch, ließ mich auf den Boden nieder und lehnte meinen Rücken an das weiche Polster. ›Wirklich weich.‹ Ich hatte das Gefühl meine Schultern wurden komplett von der weichen Masse aufgenommen, beinahe angesogen.
Mein Blick wanderte gemächlich das Zimmer ab. Ein Flachbildschirm mit grell zuckenden Bildern so groß wie meine alte Matratze, darunter ein flacher, langgezogener Tisch aus sehr dunklem Holz, nicht ein Fleck ohne Schnitzerei, die afrikanischer Herkunft vermuten ließ, auf einem sehr modernen Regal eine orientalische Lampe, an der Decke die Konturen eines schwebenden Buddha, eine halb verrottete Armbrust hinter Glas, trotz der kleinen Fenster ein Dschungel aus Topfpflanzen vor dem Blick nach draußen und Bilder an den Wänden, darunter eine Burg, so realistisch, als wäre der Rahmen nur eine Öffnung in die Ferne.
Das Flackern des Fernsehers reizte meine Augen, die Stimmen schienen sich zu überlagern, waren viel zu laut. Hatte Mitica den Ton ernsthaft so aufgedreht?
Ich stand auf, suchte die Fernbedienung, ging genervt die wenigen Schritte zum Farbspiel und schaltete es ab.
Ruhe. Genüsslich schloss ich einen Augenblick die Lider. Durch meine Socken spürte ich die angenehme Flauschigkeit des Hochflors. Meine Finger zuckten. Ob der Gastgeber - ? Ich zog die Socken aus, lief ein paar Schritte. ›Waaahnsinn!‹ Vom Gefühl her bequemer als die alte Matratze.
Meine Augen blieben an einer sich bewegenden Malerei an der Wand hängen. Ein sehr dezent gehaltenes Farbenspiel.
Langsam trat ich näher, hörte meine nackten Füße über den Hochflor streichen.
Das Bild bestand aus vielen kleinen unregelmäßigen Rechtecken, die sich horizontal und vertikal zu verschieben schienen. In ihnen weitere kleine, sich bewegende Muster, darin neue. Jeder Stein ein Korridor, in das Bild hinein.
Fasziniert ließ ich einen Finger, dem Verlauf des Musters aufwärts, über die Oberfläche fahren.
Ich kicherte, löste meinen Finger. Wie albern! Drehte mich halb weg, wollte zurück zum Sofa - ›Ich sollte schlafen.‹ - sah meine gelbe Fingerkuppe.
›Scheiße!‹
Fuhr herum. Eine dicke breite Spur zog sich über Kunstwerk, vermischte all die Farben zu einem matten braunen Brei.
›Ob ich da noch - ?‹ Illusionen waren meine Stärke.
›Was-?‹ Ich tat eiligst einen Schritt zurück. Das Werk glänzte feucht, die Muster bewegten sich, abwärts, am Rahmen sammelte sich eine Pfütze.
›Oh Gott, was hab ich-?‹
Platsch!
Tief atmend starrte ich es an. Sah den zweiten Tropfen zu Boden schweben.
Platsch!
›Hör auf.‹ Der Spritzer besudelte Tapete und Regal.
Platsch!
Die Pfütze schwoll an, hinterließ eine grauweiße Leinwand, ergoss sich über das Geschwulst von wucherndem Rahmen. Ein zähe, schwerfällige Masse, auf dem Boden mehr Kuhfladen als Farbe.
Meine Füße machten einen Satz rückwärts.
Klirr!
Es klingelte in meinen Ohren. Warum hatten wir die verdammten Schalen nicht auf das Fensterbrett gestellt?
Der Boden schwankte, als ich mich drehte, fühlte den Schwung einer Pirouette. Meine Hand griff nach dem Tisch, stieß ihn um. Ich sah das Geschirr fliegen. ›Oh nein.‹
Eine Welle des Hochflors fing es, schlug nieder, überzog den Untergrund mit einer klaren Eisschicht. Unter ihm wogte es in einem Grünblau.
›Oh man.‹
Mir schwindelte. Die Farbe wechselte zu weiß, Eis knackte, Kälte attackierte mich, tiefe Risse klafften auf. David stand mitten im Raum. Er bückte sich, zog die Hure vom Totenbrett aus dem Gletscher. Ihre hellblauen gebrochenen Augen stierten mich an. Die Haut wächsern, violette Farbflecke, die sich darunter ausbreiteten. Ihr wundervolles blondes Haar, das sich über den Boden ergoss, als David sie fallen ließ, sich in alle Richtungen über das Eis verteilte.
»Duuuu, bist die Nächste!« Eine unmenschlich tiefe, heisere Stimme, ein leichtes Vibrieren.
Ich keuchte. Was zur Hölle war hier los?
Davids Finger verwandelten sich zu Messern, er lachte. Stöhnend griff ich mir an den dröhnenden Schädel, vornübergebeugt, wankte. Seine Zähne waren gefeilt, wuchsen zu großen Hauern. Sein Torso, ein Resonanzkörper schallenden Gelächters eines um die Manege kreisenden Publikums. Ich stand im Lichtkegel, Feuer säumte den Manegenkasten, hockte dann plötzlich in einem Käfig und sah David mit seinen Händen die Leiche zerfetzen, seinen Kopf in ihrem Körper versenken und blutbesudelt wieder auftauchen. Unsere Augen trafen sich, mein Herz setzte aus.
›Du bist die Nächste!‹
Ich rüttelte an den Gitterstäben.
›Was ein Monster!‹
Davids Lachen verzerrte sich grässlich, schlug Energiewellen, die mich zurückwarfen und den Manegensand aufwirbelten. Zu einem Sturm anschwellend, eine Barriere von zirkulierendem Sand, die der Hure Haut und Fleisch bis auf die Knochen blank fegte.
›Oh man, ich will hier raus.‹ Hatte unser Gastgeber …
Ich ergriff wieder die Gitterstäbe, rüttelte, bekam meine Hände nicht mehr los. Kleine Schlangen lösten sich, immer mehr, wanden sich um meine Arme. ›Nein!‹ Verzweifelt warf ich den Kopf in den Nacken, erblickte die auf mich niederfahrende Decke. Speerspitzen glänzten. Meine Hände verwuchsen mit pulsierendem Metall darunter.
»Lass mich hier raaaus!!« Ich brüllte mir die Stimmbänder durch.
David verhöhnte mich, vereinigte den Sandsturm zu Thomas‘ Leichnam, das Wurfmesser im Hals, tiefrot quellendes Blut, das den Boden färbte, und griff in den toten Körper. Es regnete Innereien, mein Magen krampfte. Die sich um meine Arme schlängelnden Därme wanden sich meinem Kopf entgegen, drangen zwischen meine Zähne, in meinen Hals, tiefer. Mein Atem setzte aus, Ekel, was ein Ekel, diese glibschigen -
Ich beugte mich vorne über und kotzte mir die Seele aus dem Leib. Keuchte. Erblickte den Teppichboden. Schloss die Augen, versuchte tief in meinem Inneren nach meinem Verstand zu greifen.
Ich ließ mich fallen, kroch über den wankenden Boden, warf meinen Rücken gegen die Wand.
Schnee fiel. Lichte Flocken. Weiß, kalt und unbarmherzig, doch tanzten. Kristalle funkelten, die dunklen Baumstämme, wie von Raureif überzogen. Ich streckte meine Hand, fing eine Flocke groß wie mein Handteller. Die Spitzen, mörderisch blitzend, und doch so zart. Kaum gefangen, schon zergangen.
»Wo sind Mama und Cæolon, Rína?« Ich verrenkte mir fast den Hals, als ich mich zu ihr umdrehte. Ein Mädchen, das lange schwarze Haar im Fahrtwind flatternd, die vertrauten grünblauen Augen.
»Mama wird mit deinem Bruder nachkommen.«, antwortete sie mir in ebenso fließendem Yadonisch.
Ich folgte ihrem konzentrierten Blick nach vorne, spürte die rhythmischen Bewegungen der silbergrauen Wölfin unter mir, Rínas um mich geschlungenen Arm, damit ich nicht herunterfalle.
»Und Papa? Und Yena? Und Afái?«
Rína drückte mich fester, schwieg einen Augenblick.
»Papa ist tot.«
Ein markerschütternder Schrei riss mich aus meinem kurzen Halbschlaf.
›Lisa!‹
Ich fuhr auf, die Welt drehte sich, hielt mir den Kopf, stützte mich an der Wand. Wenn ich das durchmachte, was musste dann erst sie - ? Um meine Füße wand sich schwarzer Nebel. ›Die Suppe.‹ Bestimmt unser „Gastgeber“ –
Als ich aufsah, erblickte ich sie mit einem Messer da stehen. War es echt?
Ich lief los, strauchelte gegen ein Regal, der Boden bewegte sich wie ein Schiff in schwerem Sturm.
»Thomas!« Es folgte ein Schrei, der mir mein Trommelfell zerreißen wollte.
›Bin gleich bei dir.‹
An der Wand gegenüber trat ein Faden Blut an der Decke aus.
Platsch!
›Noch ein Schritt.‹
Ich warf mich von hinten auf sie, presste ihre Arme gegen ihren Körper, presste sie fest an mich.
»Lisa! Ich bin’s! Hanna!«
Sie keuchte schwer, fuhr herum, quetschte mir die Luft aus der Lunge, heulte. »Hanna.« Drückte fester.
Unter mir breitete sich Blut über den Boden aus, rann über eine unsichtbare Kante in den schwarzen Abgrund, dessen Tiefe ich nicht zu ergründen vermochte.
Lisa zitterte, zuckte, aber ich nicht weniger.
Wo war Mitica? Hatte ich die beiden vorhin geweckt?
Mein Blick erfasste weitere Austrittsstellen an Blut. Es rann in dichten Schwadronen und schweren Tropfens die Tapete hinunter. Dort wo das Regal gestanden hatte, klaffte ein schwarzes Loch.
Mitica kauerte in einer Ecke, schien aber, soweit man in diesem Szenario behaupten konnte, relativ gefasst.
Er blickte mich mit großen Augen an, die immer größer wurden.
›Guck weg.‹
Ich heftete meinen Blick auf die Suppenschalen, die vergingen zu Sand, der sich zu einer Sanduhr ordnete, doch kaum angefangen zu rieseln, zerplatzte das sphärische Glas in alle Raumrichtungen. Splitter ritzten mir die Haut.
Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen. Unser Gastgeber und Amalia traten ein. Seine Ohren waren spitz, wuchsen, größer als mein Unterarm. Meine Tante …
›Sie hat’s auch erwischt.‹
Meine Hand langte nach dem Messer, das Lisa noch immer umklammert haben musste. Da war keines.

Ich schwankte, musste mich immer wieder an der Wand abstützen. Den Weg zu merken … unmöglich, wenn alle drei Schritte sich ein anderes Bild ergab. Warum zur Hölle konnte er das Gegenmittel nicht einfach so auskramen statt uns alle im Schlepptau mitzuziehen?
Ich sah Lisa in den Armen des Alten hängen. Wut staute sich. Warum tat er uns das an?
Unter meinen Füßen wechselte der Boden zu einer staubigen Kraterlandschaft.
Plötzlich hielten wir. Irgendwas von ›Schlüssel‹ drang über mein Ohr ins Bewusstsein.
Eine Tür leuchtete hellblau auf.
Ich prallte zurück, richtete meinen Blick auf den Alten, doch das Bild verschwamm vor meinen Augen. Ein Zauberer. Was hatte er mit uns vor?
Der Alte packte mein Handgelenk, ich wehrte mich, war dessen doch nicht fähig, fiel trudelnd durch das Licht in eine Schwärze und stieß mir den Kopf.
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BeitragThema: Re: Manuskript - Alte Version   Manuskript - Alte Version Empty05.11.13 22:05

Teil III

Der Schnee zu meinen Füßen war alles andere als weiß und pulvrig. ›Noch mehr Scheiße.‹ Mit Unmut im Magen setzte ich mich in Bewegung, lief Lisa voraus. Das Auto war nicht weit. Wie Amalia an die Schlüssel gekommen war? Vielleicht Sascha? Wieso wollte sie weg? Auch nur wegen den Reportern oder – nein, daran wollte ich gar nicht denken. Ich wollte mit ihren Fantasiegeschichten nichts zu tun haben. Alles Gelabere, ihrem Kopf entsprungene Bilder, um der Realität zu entfliehen. Als Kind mag man gerne träumen, doch in meinem Alter sollte die Vernunft überwiegen. ›Allein um der Rauheit der Welt entgegen blicken zu können.‹
Der Wagen schaukelte leicht, als ich die Heckklappe schloss. Ich sah mich hektisch um. Von Mitica keine Spur. Fröstelnd stieg ich ins Auto.
»Wir müssen wohl ohne ihn los.«, warf ich in die Runde.
Sascha schüttelte den Kopf. »Da vorne kommt er.«
Amalia startete den Wagen.
›Hau rein, wir müssen los.‹
Lisa rückte auf Irinas und meinen Schoß, rollte sich zusammen, in meine Decke gewickelt.
Dass bisher keine Polizei aufgetaucht war konnte nur heißen, dass die Straßen dicht waren. Es behinderte sie, aber auch uns. ›Hoffentlich kommen wir da irgendwie durch.‹
Die Heckklappe ging auf – zu. Ich schaukelte. Tür auf – zu.
Das Auto fuhr los.
Bibbernd zog ich meine Jacke enger um mich. Die Heizung lief, würde aber brauchen.
Kurz bevor wir die Straße erreichten, warf ich einen letzten Blick zurück. Das beleuchtete Zirkuszelt hinter all den schwarzen Schemen, ein Licht im Dunkel, doch Blendwerk der Schattenseite.


Blau      = Yadonisch

Es war kalt, bitterkalt, doch die Kälte war nicht das Schlimmste. Da war überall Lärm. Lärm, den ich aber nicht groß weiter differenzieren konnte. Schreie, Rufe, irgendwas Schepperndes, gar nicht weit weg.
»Mama!«, kreischte ich. »Maama!«
Ich wusste nicht, wo ich war. Nur, dass überall Schnee lag, da vorne ein absolut überdimensionaler dunkler Baum stand und über mir die Sonne mich verlachte. Der Schnee reflektierte das Licht, blendete und stach in den Augen.
»Maama!«
Etwas Glitzerndes raste in meine Richtung, schlug in den Baum neben mir, keine Handbreit entfernt. Erschrocken fuhr ich zusammen, rannte los, blindlings und auf nichts achtend.
»Mamaa-aa!« Ich kreischte, so hoch, wie es meine kindliche Stimme zuließ.
Etwas schnitt durch meine fliegenden Haare, ich stolperte, landete im Schnee, versuchte mich auf meine winzigen Füße aufzurappeln, rutschte aus und schlitterte ein paar Meter auf der Schräge. Da war ein Gebüsch, ein Baum, Äste, die kratzten, mir ins Gesicht schnitten, ein Stamm fing mich auf. Von hinten packte mich eine Hand, griff mir an den Hals, ich schrie, brüllte mir die Seele aus dem Hals. Etwas machte es mir schwer, Luft zu bekommen.
Aus meinem Augenwinkel sah ich links eine Gestalt durch das Gebüsch brechen.
»Afái!«, kreischte ich, würgte.
Er stoppte, drehte abrupt mir den Kopf zu – und rannte, auf mich zu.
Plötzlich wurde ich zu Boden geschleudert, überschlug mich, bekam wieder Luft, rappelte mich auf. Ein junger Mann, eigentlich noch ein Junge stürmte auf den Fremden zu, der mich so gemein behandelt hatte. Er schwenkte irgendwas langes Silbernes durch die Luft, der Fremde fiel zu Boden. Etwas löste sich von ihm, rollte als Schatten auf mich zu, stieß gegen mein Bein.
Ich sah hinunter, zu meinen Füßen.

Tief nach Luft japsend fuhr ich hoch.
»Han, was-«
»Nur geträumt.« Ich winkte ab. Besorgte Blicke ruhten auf mir. »Nur geträumt.«
Sascha reichte mir Wasser und ein Stück Schokolade.
»Danke.«
Das kühle Nass benetzte meine trockene Kehle. Die Schokolade schmolz auf meiner Zunge dahin, hatte etwas Beruhigendes an sich.
Gedankenverloren starrte ich aus dem Fenster. Es war noch immer dunkel, wenn man es dunkel nennen konnte. Das viele Weiß und rosa getönte Schneewolken… Nein, dunkel war es wahrhaftig nicht.
Amalia fuhr schnell und noch immer fielen dicke Flocken, dicht wie Sand am Meer. Das Meer! Ich schloss meine Augen und versuchte es mir vorzustellen. Ein Strand, eine warme Sonne und das dunkle Wasser, das so dunkel war, dass es den tiefsten Schluchten der Meere entstammen musste. Felsen, an denen sich laut und unter Aufspritzen weißer Gischt die Wellen brachen… das Rauschen.
Als ich meine Augen öffnete sah ich Schnee. Kalten, weißen, unbarmherzigen Schnee. Nur nicht ganz so viel wie im Traum. Mit einer wirschen Handbewegung versuchte ich ihn abzuschütteln. Unnötig sich weiter Gedanken darüber zu machen. Es war ein Traum, der mich immer wieder einholte, immer und immer wieder, seit ich denken kann. Es war das Einzige, das mich glauben ließ, Amalia spinne vielleicht doch nicht ganz, und die andere Welt, von der sie sprach, gebe es wirklich. Aber es konnte auch genauso gut das Fabrikat meiner Gedanken sein, die eine zu grausige Geschichte aus Kindheitstagen nicht vernünftig verarbeiten konnten.
Ein Blick auf die Autouhr sagte mir, dass es halb sechs Uhr morgens war.
»Wohin fahren wir eigentlich?«
»Ist das wichtig?«, fragte Amalia zurück.
Statt einer Antwort stierte ich missmutig nach draußen. Dass sie es nicht sagte bestätigte nur meine dunkle Vermutung.
Ich selbst bin so lang seit ich denken kann Mitglied des Zirkus‘. ›Wohl nun gewesen.‹ Meine Tante sagte zwar, sie und ich kämen eigentlich aus einer anderen Welt, von einem anderen Planeten, aber ich hielt es für Schwachsinn… mittlerweile. Abgesehen von ihrer großen Fantasie, die mehrere nicht existente Sprachen umfasste, mit der sie mich als kleines Kind fesselte und ich die Sprachen auch noch fleißig gelernt hatte … ›Man muss einfach realistisch bleiben.‹  Wenn es diese wunderschöne Welt gab, warum in aller Teufels Namen ließ sie mich dann in einem Wanderbordell verrotten? ›Ich will dich doch nur verstecken, wo man ganz sicher nicht nach dir suchen wird.‹, echote mir ihre Antwort im Kopf. Meine Familie, dahingemetzelt. Von wem, vermochte sie mir nicht zu sagen, wusste es angeblich selber nicht.
Ich musste mir eingestehen, dass ich Angst hatte, sie könnte mit ihrer Fantasie tatsächlich Recht haben. Es würde irgendwie ... meine Weltordnung zerstören.
Ich versuchte mir einzureden, meine spitzen Ohren waren einfach nur Zufall. Im Publikum waren mir schon manchmal Menschen mit zumindest eckigen Ohren aufgefallen. Spitz auch, nur halt nicht so spitz … wie ich.
Ja, ich konnte zaubern, verfügte über irgendeine Art „übernatürlicher“ Kräfte. Aber wer außer den Wissenschaftlern sagte denn, dass das unnatürlich war? Konnte es nicht sein, dass gerade einige der besten Zauberer deshalb ihre Tricks nicht preisgaben, damit sie nicht aufgeschnitten auf dem Tisch im Forschungslabor landeten? Es gab bestimmt sehr viel mehr Menschen wie mich in dieser Welt. ›Sie verstecken sich nur, wie ich mich.‹
Soweit meine Erinnerung zurückreichte trug ich schon immer einen Illusionszauber über den Ohren. Tag und Nacht, niemals abgelegt, mit der Zeit von Amalia übernommen. Manchmal vermeinte ich aus den Augenwinkeln bei ihr auch spitze zu sehen. Aber sicher war ich mir bis heute nicht. Gefragt ... je weniger ich mit ihr drüber sprach, desto besser, ich wollte es nicht mehr hören.
In der Manege führte ich Zaubertricks vor. Zur Vereinfachung für mich, gestützt durch meine Kräfte. Täuschte vor, ich wäre telekinetisch begabt. Doch außer ein bisschen Illusion beherrschte ich quasi nichts. Amalia hatte immer Angst, dass es irgendjemand vielleicht spüren könnte, wenn ich meine Magie einsetzte. Dementsprechend wenig hatte ich geübt und es zumeist bei kleineren Spielereien belassen. Und doch zugleich sagte sie mir, ich müsse üben, um sie in den Griff zu kriegen.
Meine eigene Tante war mir suspekt. Verbarg mehr, als sie preisgab. Was hatte ich davon außer einem Berg von Fragen, der stetig wuchs? ›Vergiss es, sie spinnt einfach.‹ Ob sie überhaupt wirklich mit mir verwandt war?
Ich sah wieder David in der Manege stehen, das irre Funkeln in den Augen. Ob ich ihn hätte stoppen können, wenn meine Kräfte geübter gewesen wären?
Mein Blick fing eine besonders große Schneeflocke.
Wer wusste schon, wie viel an den Menschen echt war, die da auf den Zuschauerplätzen verharrten? Wie viel an Menschen überhaupt echt war? Wie viele von ihnen versteckte spitze Ohren hatten?


Teil IV

Etwa eine Stunde später, es war noch immer dunkel, bog Amalia auf eine Landstraße. Wir passierten ein kleineres Dorf, die Landschaft wurde bergiger. Dunkel ragten ihre Umrisse vor den rosa getönten Schneewolken auf, die Hänge, zunächst noch verschneite Felder, wichen bald einem Meer von Nadelwäldern, deren Baumwipfel sich unter der weißen Last zu allen Seiten neigten. Mittendrin eine Burg, deren dunkles Gemäuer unter einer dicken Schneedecke hervor lugte.
Amalia nahm erneut eine Abfahrt.
In der Ferne erblickte ich einen Hof. Aufsteigender Rauch aus einem Kamin verlor sich im Flockenfall. Die nicht weit stehende Scheune – eingefallen.
Der Wagen nahm eine Kurve, plötzlich ging es bergan und nur wenige Meter später befand ich mich umgeben von Wald.
Nach einer weiteren Abzweigung wurde ich aufmerksam. Näherten wir uns unserem Ziel?
Ein Seitenblick auf Irina und Mitica sagte mir, dass auch sie etwas vermuteten.
Es dauerte nicht lange, da hielt Amalia den Wagen auf einer unberührten breiten Decke Weiß an. Ein blaues Schild mit dicker Haube und verblichener Kennzeichnung darunter wiesen das Gelände als Besucherparkplatz aus. Ein paar einsame Baumwipfel, in der Ferne Berge, vermutlich ein Abgrund direkt vor der Kühlerhaube. Zur Rechten erhob sich die Burg, majestätisch in den Himmel ragend, der dunkelrote Stein schwach schimmernd im Zwielicht. Hinter uns, eine dicht bewaldete Bergflanke.
»So, da wären wir.« Ohne weitere Erklärung öffnete Amalia die Fahrertür und stieg aus.
Lisa blinzelte.
»Wir sind anscheinend da.«, murmelte ich ihr zu. Sie rieb sich verschlafen die Augen und setzte sich auf.
»Wo sind wir?«
»Keine Ahnung. Auf irgendeinem Besucherparkplatz von einer Burg.«
Mitica tippe den schnarchenden Sascha an.
Ich öffnete meine Tür und stieg aus. Kalte Luft empfing mich und dicke Flocken setzten sich so schnell in Kleidung und Haaren fest, als wären sie schon immer ein unabdingbarer Bestandteil gewesen. Unwillkürlich musste ich grinsen, als ich Amalias mehr weißes als schwarzes Haar erblickte. Ihre Jacke… ein halber Schneemann. Sie sah es und grinste zurück.
War das herrlich die verspannten Beine wieder auszustrecken! Genüsslich lief ich ein paar Schritte auf und ab, bis selbst Sascha seinen Hintern aus dem Wagen bewegt hatte.
»Warum halten wir hier?«, fragte Irina. Sie kramte in ihren unzähligen Jackentaschen und zog triumphierend eine sehr gebeutelte Kippenschachtel heraus.
›Dass dir beim Qualmen nicht die Finger abfrieren!‹ Ich vergrub meine nur noch tiefer in der schäbigen Jacke.
Amalia öffnete die Heckklappe und begann unsere Gepäckstücke und Decken herauszuholen. Wozu brauchten wir eigentlich die Decken? Klar, im Winter war es immer besser eine mehr griffbereit zu haben als gerade notwendig…
»Ich kenne den Mann, der die Burg da drüben bewohnt und als Touristenattraktion hergerichtet hat. Er wird uns vorläufig einen Unterschlupf gewähren.«
›Und das soll ich dir glauben?‹
Ich warf einen längeren Blick auf das Gebäude weiter hinter ihr, erbaut auf einem großen Vorsprung, ein gutes Stück entfernt von der Bergflanke. Ein paar wuchtige überdachte Wehrtürme, hohe, mit Schießscharten gespickte Mauern, kleine Fenster, der dunkelrote Stein, der fast ein wenig zu pulsieren schien und dessen wahre Farbe zwischen Schwarz und Rot nicht auszumachen war. Die Mauern wirkten abweisend, zogen sich um die Burg, als müssten sie sie vor der Welt abschotten, als beherbergten sie ihre eigene. Hätte es aufgrund des Schnees nicht ausgesehen wie ein Zuckerschloss… Ich versuchte mir glühende Kohlebecken auf den Mauern und Feuerschein in den Fenstern vorzustellen, in einer warmen Sommernacht. Ein halb schlafender Drache auf dem Bergfried, statt Spitzdach. Ein Dieb, der hier einbrechen wollen würde, könnte sein Abenteuer erleben.
Wie lange wir hier bleiben würden?
Nachdem Amalia das letzte Gepäckstück im Schnee verstaut hatte, ging sie zur Fahrertür, langte ins Auto – und löste die Handbremse.
Rumms. Tür zu.
»Sascha, Mitica! Helft mal kurz!«
Verdattert sah ich sie seitlich der Motorhaube niederknien und mit der Hand Schnee vor den Reifen wegschaufeln.
Drei schnelle Schritte und ich stand am Rand der Böschung, erblickte die Tiefe des gähnenden Abhangs. Meine Augen blieben an einem kleinen See hängen, das Wasser war noch nicht gefroren. Der Wagen könnte mit ein bisschen Glück…
Ich wandte mich Amalia und den beiden jungen Männern zu, klopfte dem Wagen gegen den linken Kotflügel. »Armes Auto.«
»Stehen lassen können wir es nicht.« Amalia sah erstaunt aus.
Ich rollte mit den Augen. »Neue Kennzeichen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Bräuchte zu lange. Ich will’s nicht hier stehen haben.«
Irina trat neben mich und sprach aus, was ich dachte. »Schicke Abwärtsfahrt. Ich hoffe nur, du hast Recht Lia, und du kennst wirklich wen. Ohne Auto…« Sie ließ den Satz offen im Raum stehen.
Amalia erhob sich, ging um den Wagen herum. Wir trotteten ihr wie eine Herde Schafe hinterher. »Ich hoffe, es hat niemand etwas im Auto liegen lassen?«
Niemand antwortete.
»Ok, dann legt euch ins Zeug. Bei drei. Eins-«
»Lia, warte!« Irina stand schneller zwischen Auto und Abgrund als ich gucken konnte. In Anbetracht des schmalen Grades an Platz den sie zur Verfügung hatte, hätte mein Herz so heftig geschlagen, dass ich mich schon den Abhang hinunter schlittern sah.
»Gib mir die Schlüssel!« Sie hielt ihre offene Hand verlangend Amalia entgegen.
»Wo willst du hin?«, fragte ich.
»Weg, zu meinen Leuten.« Sie warf meiner Tante einen scharfen Blick zu.
›Eiskalte russische Killerin in Nuttenoutfit.‹
»Da ihr den Wagen ja anscheinend nicht mehr braucht, kann ich ihn auch genauso gut nehmen und auf der Stelle mit ihm weiterfahren.«
Mitica kicherte. Sascha stapfte grinsend Richtung Gepäck, griff seines als auch Irinas, sagte aber nichts.
Amalia zögerte. Sie sah sich um in Richtung, aus der wir gekommen waren. Zurück zu Irina.
›Die Knarre fehlt.‹
»Wenn du mitkommst, kann ich dir helfen aus deinem Teufelskreis zu entkommen.«
Einen Augenblick schien die Russin verdutzt. Ein ungläubiger Blick traf Amalia. Sie lachte kurz auf, wurde ruhig. »Danke für das Angebot, ich bleib lieber in meinem Teufelskreis, da weiß ich wenigstens mit wem und was ich es zu tun habe.«
»Es ist eine Schande.« Amalia warf ihr die Schlüssel zu.
»Vielleicht … aber vielleicht mag ich das Leben auch so.« Irina grinste.


Teil V

Schnee knackte unter den Reifen. Die Rücklichter verschwanden im dichten Flockenfall bevor Irina das Ende des Parkplatzes erreicht hatte. Sie stürmten mit einem Tempo und Wind zu Boden, als wäre es schon immer ihre Bestimmung gewesen Spuren zu verstecken.
»Ich hoffe der dir bekannte Burgherr ist ein Frühaufsteher«, meinte ich.
»Er wird uns schon empfangen.« Amalia wandte dem verschwundenen Wagen den Rücken zu und kämpfte einen Weg durch die weißen Massen. Lisa, Mitica und ich folgten ihr, schweigend, wen wunderte es. Trotz meines zwischenzeitlichen Einnickens bemächtigte sich meiner eine bleierne Müdigkeit und mein Magen fühlte sich an als wäre er von einem schwarzen Loch ausgeraubt worden. Mich interessierte, ob ich Irina je wiedersehen würde. Oder Sascha, den sie mitgenommen hatte. Würden sie es schaffen?
Ein mattes Grinsen stahl sich auf mein Gesicht. So wie ich Irina kannte … sie fand immer einen Weg. ›Ich kann sie morgen Abend ja mal anrufen.‹
Mein Blick streifte Lisa, die schon mehr in Miticas Armen hing als selber ging. Ein Elendsbündel, das sich nur noch dem Schlaf übergeben wollte.
Kalter Wind bahnte sich seinen Weg durch die Netzwerke aus Gewebefasern.
›Ein vorgewärmtes Bett wäre jetzt ein Luxus.‹
»Woher kennst du ihn?«
»Wohl eher eine Zufallsbegegnung.« Amalia hielt einen Augenblick inne, ehe sie auf die Klingel drückte. »Ihr braucht wirklich keine Angst zu haben, wir können ihm vertrauen.«
›Aha.‹ Wenig überzeugt ließ ich meinen Blick in die Berge schweifen.
›Seid froh, dass ihr nicht frieren könnt.‹ Oder müde werden könnt. Nicht essen, nicht trinken braucht. ›Und sterben auch nicht.‹ Nur durch Erosion und Verwitterung im Verlauf vieler Jahrmillionen vergehen und an anderer Stelle durch Plattentektonik neu erstehen.
Es dauerte einen Augenblick. Amalia hob bereits zum nächsten Anlauf an, als sich auf der anderen Seite hörbar Schritte näherten und am Schloss des alten Eingangstores zu schaffen machten. Holz knarrte. Ein Mann von geschätzten siebzig Jahren, relativ groß und schlank mit Taschenlampe in der Hand, erschien. Gekleidet in einen dunkelrot karierten Morgenmantel, der ihm fast bis zu den Knöcheln reichte und ein dünnes hellblaues Nachthemd das darunter hervor lugte. In seinem lichten Haar funkelten kleine Kristalle.
›Wohl doch geweckt.‹
»Du bist spät.« Er blickte Amalia geradeheraus an.
›Was?‹ Seine Stimme war tief und sprühte vor innerer Ruhe.
»Ich weiß.« Sie zuckte nicht einmal mit der Miene. »Aber ich hielt es für besser so.«
Irritiert blickte ich zwischen den beiden hin und her. Sie kannten sich ohne Zweifel besser als ich angenommen hatte. Hatten sie eine Verabredung gehabt?
Die Kiefermuskeln des Mannes zuckten. »Das lag nicht in deinem dir zugestandenem Ermessen.« Sein musternder Blick ruhte auf mir, den anderen, wieder auf mir. »Kommt rein.«
Er drehte auf der Stelle um, als ich zeitgleich meinen Blick auf Lisa richten wollte. Im Augenwinkel… Mein Kopf fuhr herum. Nein, alles normal.
›Vermutlich nur eine Einbildung.‹ Vor Müdigkeit. Und dennoch… hatte der Typ nicht für den Bruchteil einer Sekunde spitze Ohren gehabt?


Zuletzt von Krayt am 24.11.13 13:07 bearbeitet; insgesamt 7-mal bearbeitet
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BeitragThema: Re: Manuskript - Alte Version   Manuskript - Alte Version Empty05.11.13 22:01

Teil II

Lisa verschwand auf der oberen Matratze des Etagenbetts. Man hörte eine Decke rascheln, dann nichts mehr.
Ich kämpfte mir einen Weg durch den schmalen freien Gang und ließ mich zu Irina auf eine braunrote Couch plumpsen, deren Stoff so ausgeblichen und abgewetzt; das Muster blieb Interpretation des Betrachters. Ausgezogen, mein Schlafplatz.
Irina nahm einen letzten tiefen Zug und schnippte das Überbleibsel in einen Ascher. Als sie den Rauch ausatmete wirkte sie wesentlich ruhiger.
Mitica hockte auf Amalias Matratze, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, das Gesicht in den Händen vergraben.
»Das ist eine Katastrophe! Bis der Zirkus wieder laufen wird…«
»Er wird sehr schnell wieder laufen. Fragt sich eher wie.« Irina ließ sich ins rote Polster sinken und legte ihren Kopf auf die Rückwand. Sie betrachtete die Decke.
»Ich muss gehen. Lisa muss gehen. Sascha wird mitkommen.« Sie sprach es mit einer Ruhe, über die ich nur staunen konnte. »Mitica sollte mitkommen. Wie es mit dir aussieht, Hanna, weiß ich nicht.«
Mitica ließ ein freudloses Auflachen hören, mehr ein Schnauben. »Mir können sie nichts.«
»Ich weiß nicht.«, murmelte ich Irina meine Antwort zu. ›Ihr würdet mir fehlen.‹
Ich warf einen besorgten Blick Richtung Hochbett. Von Lisa war nichts zu sehen. ›Armes Mädel.‹ Davon, dass wir ihr eigentlich alle zu Dank verpflichtet waren … Sie hatte David getötet, Augenzeugen gab es mehr als genug. Aber das würde ihr nicht helfen.
Ich sah ihn mit dem Messer ausholen. ›Lisa!!‹, kreischten meine Gedanken, wollte vorstürmen. Da stolperte er, fiel in ihren Säbel, für ihn sehr unglücklich. ›Oder sehr glücklich, je nachdem, wie man es drehen will.‹ Aus dem falschen Augenwinkel … Lisa musste weg. Was ihn dazu überhaupt, abgesehen von den kichernden Nutten, animiert haben könnte? Er hatte Messer schon immer gemocht, war außerhalb der Manege introvertiert… Verdammt, darüber hatte ich jetzt keine Zeit nachzudenken.
Wie lange könnte die Polizei bei dem Wetter brauchen?
Plötzlich ging die Tür auf. Köpfe drehten sich.
Eine jung aussehende Frau mit langem schwarzen Haar und leuchtenden Augen von einem Grün-blau wie Meereswasser einer idyllischen Südseeinsel, stand im Rahmen. Meine Tante. Hoch gewachsen, schlank. Der Wind spielte mit ihrem Haar, wiegte ihre Strähnen, auf und ab, wie das Leben. ›Und irgendwann ist alles still.‹
»Packt eure Sachen, nur das Wichtigste. Decken, Trinken, Essen, was zum Anziehen. Macht schnell. Ich warte mit Sascha am Auto des Direktors.«
Ich sprang auf. »Lia, was-..wohin?«
»Erstmal einfach nur weg.«
»Wir nehmen Lisa auf den Schoß, das passt schon.« Irina zwinkerte mir kurz zu.
Amalia verschwand im Schneetreiben, ließ die Tür offen. Die Kälte kroch mir augenblicklich in die Glieder. Ich lief und warf das alte Ding ins Schloss.
»Wieso.. was?« Mitica war aufgestanden, fuhr sich linkisch durch sein Haar. Seine Augen starrten in die Ferne, richteten sich plötzlich auf mich. Entsetzen. »Ich will nicht mit. Wohin wollt ihr? Ich hab damit nichts zu tun! Ich-«
Irina unterbrach ihn unfreundlich. »Wenn du nicht mitkommst wirst du vermutlich zurück nach Rumänien abgeschoben zu deinen Eltern, die dann hinter Gittern landen, weil sie ein Kind ausgesetzt haben. Willst du das?«
Mitica riss den Mund auf, schloss ihn, starrte Irina böse an, tat zwei Schritte, zerrte die Tür auf und ging.
Ich sah ihn fröstelnd zwischen dem Weiß verschwinden. Verärgert trat ich die Tür ins Schloss. Nur weil es ausgenudelt war gab’s noch lange keinen Grund, dass man Türen nicht auch schließen konnte.
Mein Blick schweifte erneut zum Hochbett.
»Lisa, bitte, ich würde dir gerne mehr Zeit zum Trauern geben, aber wir müssen weg.«
Ein Wimmern antwortete.
»So ein Dreck.«, murrte ich. Da ich annahm mein orientalisches Kostüm eh nie wieder zu brauchen riss ich es grob von mir und schlüpfte in das nächste, was ich fand: eine abgewetzte Jeans, verschmutztes T-Shirt und stinkender Pulli. Wenigstens ohne Blut daran. ›Oder Schweiß von Fremden.‹
Um meinen Lohn zu verbessern … Amalia hat es nicht gewollt. Hat mir eine Ohrfeige gegeben, ich sei keine Hure, dann mit dem Direktor gesprochen und was auch immer sie ihm gesagt hat, seitdem hat er immer schnell weggeguckt wenn ich ihn erwischte, wie er seinen lüsternen Blick auf mich richtete. Irina durfte dafür büßen.
»Lisa, bitte, komm jetzt runter!« Konnte man vor Schock abschalten, sich vor der Realität verschließen? Das durfte sie nicht, nicht jetzt!
Ich sah mich um und begann wild Sachen in meine große Tasche zu stopfen. Bürste, Hose, Shampoo, Taschentücher, BH…
Irina zog gerade ihre dicken Stiefel an, griff ein.
»Du weißt, wo du landest, wenn dich die Polizei in die Finger kriegt.«
›Autsch.‹
Ein hysterisches Schluchzen. Dann kam sie plötzlich heruntergeklettert, die blutigen Fetzen heftig klimpernd, die Augen mehr rot als weiß.
»Ich wollte… David nicht töten.«
Irina und ich sahen uns verdutzt an.
»Ich bin noch minderjährig! Gilt kein Jugendstrafrecht?«
»Das dir einen Scheißdreck nützt, du bist nicht mal schuldig, das war Notwehr!«, fauchte Irina. »Davids Tod schert doch deinen Vater nicht! Die stempeln dich auf der Titelseite der Zeitung als eiskalte Mörderin ab und stecken dich dann einfach zurück in die Psychiatrie und fertig.« Sie atmete tief durch, senkte kurz den Kopf. »Sorry, ich-« Brach ab, sah mich halb verzweifelt an, fuhr dann wesentlich ruhiger fort. »An deiner Stelle würde ich abhauen, weg, ins Ausland, untertauchen, einen neuen Pass besorgen… alles tun um mich nicht fangen zu lassen. Glaub mir, alles ist besser als hinter Gittern, und seien es die einer Irrenanstalt, zu sitzen. Wenn du da erst einmal wieder rauskommst… du könntest dir vermutlich auch besser gleich das Leben nehmen. Einmal im Teufelskreis, kein Entrinnen.«
Ihre Augen hefteten sich auf einen unbestimmten Punkt. An was sie gerade dachte? Ich kannte sie schon so lange und doch wusste ich so wenig über sie und ihre Vergangenheit.
»Aber-«, setzte Lisa nun verblüfft an.
»Dann bleib doch hier und versauer bei deinen Göttern in Weiß!« Wütend knallte sie ein Handtuch in ihre Tasche, starrte Lisa böse an, gab etwas zwischen einem verärgerten Schnauben und Seufzen von sich, packte die Griffe und warf sich ihre Decke über die Schultern. Kalter Wind und Schneeflocken wehten herein, als sie die Tür aufstieß, verwandelten den Eingang in einen Misch aus nasser Dusche und zerstreuter Zuckerwatte. Sie verharrte, sog tief die eisige Luft ein und drehte sich zu mir und Lisa um, langsam, fast bedächtig, wie ein Raubtier, das über seiner Beute harrt, abwägend, mit wem es sie teilen soll. Ihr Mund öffnete sich, ihre Augen trafen Lisa, sie holte Luft, hielt inne. ›Eine Geschichte?‹ Hoffnungsvoll beobachtete ich das tiefe Einatmen und spürte wie Sekunden später Luft und Wille sie wieder verließen. Irinas Blick glitt zu Boden, nickte fast unmerklich ein paar Mal mit dem Kopf, schüttelte ihn mit geschlossenen Augen, machte kehrt und stapfte in die weißen Massen.
Rumms!
»Warum kann niemand diese Scheißtür zumachen?!«
Meine Hände waren zu Fäusten geballt, mein rechter Fuß schmerzte. ›Tief Luft holen.‹ Einatmen. ›Reg dich ab.‹ Wenn David doch nur nicht durchgedreht wäre! Wie die Huren ihm nur überhaupt hatten vertrauen können, dass sie sich von ihm hatten um Zentimeter mit Messern bewerfen lassen, wenn nicht mal seine Herkunft sicher war? Aus den USA, dass ich nicht lachte! Ich glaubte eher, dass er aus England kam und sich beim Einschleichen mit dem Schiff vertan hatte und Amerika ein Wunschdenken geblieben war.
Als ich mich zu Lisa umwandte starrten mich ein Paar großer graublauer Augen an.
»Bitte, Han!«
Ich nickte. »Sorry.« Griff nach meiner schäbigen Jacke ›Mhm, noch warm.‹ und begann kurzerhand für Lisa den Rest in ihre Tasche zu stopfen.
»Hau rein, die anderen wollen los.«
Hastiges Geklimper, fast schon ein Scheppern, als die durchtränkten Überreste ihres Kostüms zu Boden fielen.
»Warum kommen du und Amalia mit?«
Unwillkürlich huschte der Ansatz eines Lächelns über mein Gesicht. »Ich hab keine Lust auf die ganzen Scheißreporter, Polizisten et cetera.« Ich schwieg ein paar Sekunden. »Ich sehe es als Chance, diesem Loch hier entkommen und vielleicht ein neues Leben beginnen zu können, vielleicht sogar mit euch. Irgendwo weit weg, vielleicht ein anderes Land, vielleicht kann ich einen Schulabschluss machen, vielleicht eine Ausbildung. … Oder auch einfach nur einen unwichtigen Nebenjob wie Putzen. Aber dann hätte ich wenigstens ein Leben, das ich frei gestalten könnte. Ich weiß nicht, ob ich es hier sonst je raus schaffen könnte.«
»Was glaubst du, kann ich machen?«
Ich lachte, konnte es nicht unterdrücken. Was zur Hölle war in mich gefahren?
»Sorry.« In ihren Augen lag Verwirrung. »Lass uns erstmal abhauen.«


Zuletzt von Krayt am 13.11.13 17:38 bearbeitet; insgesamt 7-mal bearbeitet
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BeitragThema: Manuskript - Alte Version   Manuskript - Alte Version Empty04.11.13 14:51


Vorneweg: ich arbeite an einem anderen Anfang, dieser hier kommt nicht mehr in Betracht. Also - lesen zum Spaß, wer Lust hat, aber dieser Anfang wird verworfen, bitte beachten!





Kapitel 1

Teil I

Der Tod war immer ein böses Omen. Meist trat er einem nie zu nahe, blieb Fantasie in Büchern oder kaltlassende Neuigkeiten aus den Nachrichten. Jeder Familienangehörige konnte nur einmal sterben. Wenn man keine hatte, keinmal.
Ich lebte am Existenzminimum, somit musste mir keiner sagen, was der Tod war, dass ich ihm immer schon sehr nahe stand; aber wie plötzlich es gehen kann, wie wertvoll jede Sekunde ist, die man lebt, nimmt man erst wahr, wenn man es live vor Augen geführt bekommt.
Mit einem plötzlichen Tod des Helden endeten Bücher, von denen man dann unbefriedigt war, weil es zu schnell gegangen war, weil man einen größeren Abspann erwartet hatte.
Wie umfangreich Thomas‘ Abspann werden würde…
Meine Augen trafen in der Ferne Lisas. Ein entsetzter Blick. Fassungslosigkeit. Vorwürfe.
Um mich herum Geschrei, überall rannten Leute, der Ausgang war mehr als verstopft.
›Hoffentlich sterben nicht noch mehr…‹
Der Direktor schubste mich gegen die Zeltwand, als er an mir vorbeistürmte.
Plötzlich stand Irina vor mir, eine zitternde Lisa an der Hand. Wortlos packte sie mich und manövrierte uns Richtung Artistenausgang.
Draußen atmete sie ein paar Mal schnell tief durch, fingerte aus ihrem Dekolleté eine Kippe und zündete sie an. Sie sog so lange, dass ich dachte sie würde sie in einem Zug wegrauchen. Ihre Augen starrten in die Ferne.
Lisa ging zu Boden, heulte, schluchzte, zitterte.
»Scheiße«, murmelte ich.
Mein Blick glitt hinauf zum hellen Nachthimmel. Dicke Schneeflocken tanzten. So leicht und unbeschwert. ›Haben keine Ahnung vom Leben‹.
Aus dem Augenwinkel erhaschte ich einen Blick auf Mitica, der aus dem Zelteingang lugte und dann fröstelnd näher kam.
»Kommt rein, ihr erfriert sonst noch.« Sein Gesicht war bleich.
»Du würdest da selbst nicht wieder reingehen«, blaffte ich ihn an. Er zuckte zusammen. »Sorry, war nicht so gemeint«, murmelte ich, bückte mich zu Lisa herab, legte ihren Arm über meine Schultern und hievte das zarte Mädchen auf ihre Füße. »Wir können in unseren Wohnwagen.«
Sie ließ sich mehr schleifen, als sie selber lief, ich keuchte. ›Zur Hölle schwere Knochen.‹
Über den Campingplatz kam Sascha im Schnee strauchelnd auf uns zugeeilt. Seine Wangen waren vor Kälte gerötet.
»Wa-Was ist denn passiert? Ich hab‘ nur plötzlich Schreie gehört-«
»Lass uns erstmal reingehen.« Ich zog Lisa weiter.
Saschas Augen weiteten sich, als er ihren blutverschmierten halbnackten Körper sah.
»Ach du meine Scheiße…«
»Sie ist nicht verletzt.«
»David ist durchgedreht«, kam mir Irina zu Hilfe. »Hat ein paar Huren umgelegt und danach wahllos ins Publikum gefeuert«
So sachlich, wie sie das sagte, hätte man meinen können, das wäre ihr Alltag.
Sascha starrte sie einen Augenblick sprachlos an und rannte dann mit einem genuschelten »Ich geh mir das mal angucken« Richtung Zelt davon.
›Wenn du dir das antun musst.‹
»An deiner Stelle würde ich das nicht machen«, schrie Irina ihm nach. Angeblich waren sie und Sascha russische Geschwister, die in ihrer Heimat gesucht wurden. Aber wie viel man ihnen glauben konnte, war ich mir nie sicher.
Wir arbeiteten für einen Zirkus der etwas anderen Art. ›Wanderbordell trifft’s besser.‹ Viele junge Frauen, auch Minderjährige, mich eingeschlossen, viel nackte Haut und ein Lohn auf den man scheißen könnte, würde man dann nicht verhungern. Ob David das viele Gekicher verschworener Nutten zum Austicken gebracht hatte?
Meine Finger zitterten, bekamen den Schlüssel kaum zu fassen. Ich stieß mehrfach neben das Loch, ehe Mitica ihn mir aus der Hand nahm. Seine Hand zitterte nicht weniger, aber wenigstens bekam er das ausgenudelte Schloss geöffnet.
Lisa krümmte sich, ging in die Knie. Hinter mir huschten Irina und Mitica in den warmen Wohnwagen. ›Wenn man denn von warm reden kann.‹
Ich versuchte Lisa wieder auf die Beine zu ziehen, als sie sich in den Schnee erbrach.
Irina reichte uns Jacken raus, dankbar schlüpfte ich hinein und warf Lisa ihre über.
»Thomas.« Sie hauchte es, aber ich hörte sie und erhielt schlagartig das Bild eines nach hinten wegkippenden jungen Mannes mit im Hals steckendem Wurfmesser vor Augen. Blut spritzte, ergoss sich, färbte den roten Manegeboden dunkler. Eine dünne junge Frau ihm gegenüber an ein senkrechtes Holzbrett genagelt. Ihr mit Perlen und Pailletten bestickter BH durchtränkt, der nackte Bauch rot glänzend und zu ihren Füßen eine sich vergrößernde Lache. Sie hatte glasige Augen. Die erste, die starb.
»Er war sehr tapfer.« Meine Hand legte sich mitfühlend auf ihre Schulter.
Die zweite Hure hatte David ebenfalls im Hals erwischt. Die dritte im Handgelenk. Dann fing er, an seine Messer ins Publikum zu werfen. Thomas rannte, um ihn zu stoppen… und erhielt den Tod dafür.
Lisa krampfte sich zusammen und heulte bitterlich.
Meine Hand massierte ihren Rücken durch die Jacke hindurch, so gut als möglich. Doch ich sah Thomas den Säbel aus der Hand fliegen, seinen Körper nach hinten fallen, als würde er gleich zu einem Flipflop ansetzen. Sah die Szene hundert Mal, spürte die Kälte durch meine Knochen kriechen. Er war wirklich tot. ›Tot.‹ Wie Lisa sich tief in ihrem Inneren fühlen musste …
Fast schossen mir die Tränen in die Augen, ich kämpfte sie nieder. Ob es Lisa helfen würde, wenn ich mit ihr weinte? Ich wusste es nicht. Irgendeinen Artisten zu verlieren war eine Sache. Einen guten Freund, Fecht- oder Manegepartner, mit dem man so lange Säbeltanz trainiert hatte, dass man sich selbst bei gefährlichen Aktionen auf ihn verlassen konnte, eine andere. ›Und genau das war er für sie. Vielleicht sogar mehr.‹  
Mein Kopf schüttelte sich von selbst, die Gedanken abzuwerfen wie Ballast, der einen langsam und träge macht. Es half nichts. Ich sah Lisas Säbelhieb. Spritzendes Blut, das zum Zeitstillstand in abertausenden Tropfen in der Schwebe erstarrte.
Ob Lisa es jemals verkraften würde? ›Sie muss.‹
Ich wollte ihr noch etwas Tröstendes sagen, aber meine Lippen waren plötzlich taub wie ein Arm, auf dem man nachts zu lange gelegen hatte.
Lisa stopfte sich Schnee in den Mund und spuckte ihn wieder aus. Mehrmals, bis ihr die Zähne klapperten. Sie griff sich noch eine Hand voll, wischte damit um ihren Mund.
»Glaub, es geht jetzt.« Ihre Stimme klang dünn.
»Gut, lass uns reingehen.«
Ich hielt ihr die Tür offen und half ihr beim Durchgehen.


Zuletzt von Krayt am 27.09.16 10:35 bearbeitet; insgesamt 7-mal bearbeitet
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